Cultural Appropriation oder der weiße Elefant im Raum

Hallo. Mein Name ist Anna-Sophie, ihr könnt AnnPhie zu mir sagen.
Ich schreibe diesen Blog hier über einige Themen, die mir am Herzen liegen in Zusammenhang mit einem Thema, das uns wahrscheinlich allen am Herzen liegt: Yoga. Das erste mal Yoga ausprobiert habe ich vor fünfzehn Jahren, seit sieben Jahren praktiziere ich regelmäßig. Meine Yogapraxis hat mir durch schwierige Zeiten geholfen, sie ist für mich Schmerztherapie, Körpergefühl, Krafttraining, Konzentrationsübung und Selbstliebe. Yoga ist so viel für mich, eigentlich ist es aber etwas ganz anders.

Kleiner Exkurs

Das Sanskrit Wort yoga taucht zum ersten mal in den Veden auf, den ältesten überlieferten indischen Schriftstücken. Veden bedeutet übersetzt so viel wie Wissen. Das Rig-Veda, indem das Wort yoga vorkommt, wird auf ca 1500 bis 1000 v.C. datiert. Das Wort bedeutet in etwa „anschirren“, und wird übersetzt als „Aufbruch“ gelesen, im Sinne von: Zeit die Pferde anzuschirren und loszureiten. Es dauerte einige Jahrhunderte, bis daraus eine Metapher für die „eigenen Gedanken anschirren“ wurde: Das Rasen der tausend Sachen durch den Kopf verlangsamen, die Sinne von der Außenwelt zurückziehen und sich in Ruhe umsehen im eigenen Geist. Lange Zeit war es das, was Yoga bedeutete. Zwischen 200 v.C bis 200 n.C verfasste der Gelehrte Patanjali eine Art Leitfaden für Yoga. In 195 Versen beschreibt er eine achtstufige Praxis, in der zB zum ersten Mal vom aufrechten und ruhigen Sitzen die Rede ist. Yoga taucht in wichtigen, religiösen und spirituellen Texten auf, etwa in der Baghdavad Gita. In dem Text geht es um einen Heerführer, der am Krieg zweifelt und sich mit dem Gott Krishna unterhält. In diesem Text also kommen verschiedene Yoga-Konzepte vor und zwar Jnana-Yoga (Yoga der Erkenntnis), Bhakti-Yoga (Yoga der bedingungslosen Liebe zu Gott) und Karma-Yoga (Yoga des uneigennützigen Handelns). Erst viel später, im Mittelalter, taucht Hatha Yoga auf, die erste Form, die Körper Übungen in den Fokus stellt* Zusammenfassend lässt sich also sagen: Yoga ist eine über Jahrtausende hinweg gewachsene spirituelle Praxis, die eng mit der indischen Geschichte, ihrer Kultur und ihren Religionen verknüpft ist. Warum schreib ich das alles? Weil es doch interessant ist, dass Yoga in Europa und den U.S.A als Sport gilt. Stellt euch mal vor, ihr könntet Rosenkranz-Beten über die Eversports App buchen.

Zurück zu mir: Außer, dass ich Anna-Sophie heiße, auf deutsch schreibe und Yoga mag solltet ihr noch etwas über mich wissen: Ich bin weiß. Wahrscheinlich habt ihr euch das schon gedacht, obwohl die drei Dinge, die ihr schon über mich wusstet, keinen Aufschluss über meine Hautfarbe geben. Ich schreibe weiß in Kursiv, nicht um zu betonen, wie weiß ich bin (fast durchsichtig) sondern, weil ich damit einen politischen Status beschreibe, der sich zwar vermeintlich auf Hautfarbe gründet, aber weit darüber hinaus geht…

* Matthias Tieke: Yogi Hitler, Der Einfluss von Yoga und indischer Philosophie auf die Ideologie des Nationalsozialismus.